isifo
fördert die Münchner
subjektorientierte Soziologie. Vor mehr als 20 Jahren hat
Karl Martin Bolte deren Kern erstmals programmatisch
formuliert und betont, dass die subjektorientierte
Forschungsperspektive „das wechselseitige
Konstitutionsverhältnis von Mensch und Gesellschaft ins
Blickfeld“ rücke (Bolte 1983: 15). Es geht der
subjektorientierten Soziologie also um die zentrale Frage der
Soziologie.
Was aber ist der spezifische Zugang?
Das Verhältnis von Individuum
und Gesellschaft
Subjektorientierte Soziologie
(so Boltes Definition) will
"gesellschaftliche Strukturen oder Strukturelemente“
daraufhin analysieren"(1) in welcher Weise sie menschliches
Denken und Handeln prägen, (2) wie Menschen bestimmter
soziohistorisch geformter Individualität innerhalb dieses
strukturellen Rahmens agieren und so u.a. zu seiner
Verfestigung oder Veränderung beitragen und (3) wie
schließlich die betrachteten Strukturen selbst einmal aus
menschlichen Interessen, Denkweisen und Verhaltensweisen
hervorgegangen sind“ (Bolte 1983: 15f). Das Grundproblem der
Vermittlung von Handlung und Struktur steht derzeit wieder
ganz oben auf der Agenda der Fragen der Sozialtheorie, und
der Zugang, auf den man sich gerade verständigt, liest sich
auf den ersten Blick wie eine Übersetzung von Boltes
Plädoyer für eine subjektorientierte Soziologie: Das
Programm einer erklärenden Soziologie, das sich auf den
strukturtheoretischen Individualismus beruft und ein
Makro-Mikro-Makro-Modell soziologischer Erklärung bewirbt,
bedient sich derselben Grundstruktur (Weihrich 2001).
Die besondere Rolle von
Vermittlungsinstanzen
Die Frage nach "den ‚Verbindungsstellen’ von Mensch und
Gesellschaft" (Bolte 1983: 33) - und darauf kommt es
letztendlich ja an, wenn man die Wechselwirkungen von
Handeln und Strukturen erfassen will - spielt in der
subjektorientierten Soziologie eine entscheidende Rolle. Sie
wendet sich gegen einen strukturellen wie auch gegen einen
subjektivistischen Bias und grenzt sich explizit ab von
Untersuchungen, "in denen die Menschen, die als handelnde,
interessengeleitete Subjekte diese Strukturen hervorbringen,
gar nicht vorkommen" als auch gegenüber Arbeiten, "in denen
viel über menschliches Verhalten ausgesagt wird, ohne daß
überhaupt gesellschaftliche Strukturen erwähnt werden, die
dieses Verhalten beeinflussen" (Bolte 1997: 35).
Folgerichtig sucht die subjektorientierte Soziologie
intensiv nach eben diesen "Verbindungsstellen" oder
"Vermittlungsinstanzen", die in der aktuellen Sozialtheorie
inzwischen unter dem Stichwort „soziale Mechanismen“
diskutiert werden.
Die subjektorientierte
Soziologie tut dies allerdings aus einer ganz spezifischen
Perspektive heraus. Auch wenn sie sich in letzter Zeit
intensiver mit dem dritten Punkt aus Boltes Programmatik
befasst, so ist doch weniger die Frage nach der Art und
Weise, wie gesellschaftliche Strukturen aus dem Denken und
Handeln von Akteuren hervorgehen, das zentrale Thema
subjektorientierter Soziologie. Es sind vielmehr die
Subjekte selbst, die "Menschen", wie Bolte sagt, denen das
Interesse der subjektorientierten Soziologie gilt. Wie diese
es schaffen, innerhalb konkreter Zwänge und Vorgaben
Handlungsspielräume zu finden, autonom zu agieren, zu
gestalten und sich zu wehren – das ist die hidden agenda der
subjektorientierten Soziologie.
Damit ist die subjektorientierte Soziologie ganz
zwangsläufig eine empirische Soziologie. Hinter Strukturen
und Akteuren stehen immer konkrete Situationen und konkrete
Subjekte, und die Mechanismen, nach denen gesucht wird, sind
konkrete gesellschaftliche "Vermittlungsinstanzen" wie etwa
"Beruf" oder "Alltägliche Lebensführung" (siehe Voß 1997).
Diese empirische wie theoretische Herausarbeitung solcher
"Verbindungsstellen" ist vielleicht der wichtigste Beitrag
der subjektorientierten Soziologie zur Frage nach dem
Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.
Theoretische Offenheit
Im Zusammenhang damit steht
auch eine weitere Eigenart der subjektorientierten
Soziologie, die unseres Erachtens entscheidend zu ihrem
Erfolg beigetragen hat. Es ist ihre theoretische Offenheit.
Die subjektorientierte Soziologie verstand sich schon immer
als eine "Perspektive" der Forschung, ein spezifisches "In-den-Blick-Nehmen"
(Bolte 1983: 16) von soziologisch relevanten Sachverhalten,
innerhalb dessen die heranzuziehenden Theorien erst gefunden
werden müssen. Damit war die subjektorientierte Soziologie
aus München von Anfang an ein weiches, aufgeschlossenes und
entwicklungsoffenes Programm und damit eher eine Art von
„soziologischer Unternehmenskultur“, in der kein
verbindlicher Kanon herrschte, sondern ganz im Gegenteil
eine Abneigung gegen "dogmatisch zementierte politische wie
theoretische Positionen" (Voß/Pongratz 1997: 18).
So ist es eben diese "Perspektive", die die florierende und
produktive ForscherInnengemeinde auszeichnet, die in all den
Jahren entstanden ist. Die Subjektorientierte Soziologie,
die in den Münchener Sonderforschungsbereichen 101 und 333
geboren und aufgewachsen ist, ist längst keine Münchner
subjektorientierte Soziologie mehr, obschon der lokale
Zusammenhang – ganz subjektorientiert gedacht – eine
entscheidende Rahmenbedingung für ihre Entwicklung war.
isifo
ist Anfang
der 90er Jahre von SoziologInnen aus diesem Umfeld gegründet
worden, um nach der Auflösung des Arbeitsbereichs Bolte am
Institut für Soziologie der LMU und des
Sonderforschungsbereichs 333 "Entwicklungsperspektiven von
Arbeit" einen sozialen Bezugspunkt und einen praktischen
Arbeitsrahmen für subjektorientiertes soziologisches
Arbeiten zu erhalten. Inzwischen hat sich auch
isifo
von seinem räumlichen Kontext gelöst und bietet mit
seinen Aktivitäten eine Plattform für all die Forscherinnen
und Forscher, die sich inzwischen der subjektorientierten
Soziologie zurechnen – ganz gleich, wo sie sich gerade
befinden.
- Bolte, Karl Martin (1983):
Subjektorientierte Soziologie – Plädoyer für eine
Forschungsperspektive. In: Bolte, Karl Martin; Treutner,
Erhard (Hrsg.): Subjektorientierte Arbeits- und
Berufssoziologie, Frankfurt/M.; New York: Campus, S.
12-36
-
Bolte, Karl Martin (1997):
Subjektorientierte Soziologie im Rahmen soziologischer
Forschung – Versuch einer Verortung. In: Voß, G.-Günter;
Pongratz, Hans (Hrsg.) (1997): Subjektorientierte
Soziologie. Karl Martin Bolte zum siebzigsten
Geburtstag. Opladen: Leske und Budrich, S. 31-40
-
Voß, G. Günter (1997):
Beruf und alltägliche Lebensführung – zwei subjektnahe
Instanzen der Vermittlung von Individuum und
Gesellschaft. In: Voß, G. Günter; Pongratz, Hans (Hrsg.)
(1997): Subjektorientierte Soziologie. Karl Martin Bolte
zum siebzigsten Geburtstag. Opladen: Leske und Budrich,
S. 201-222
-
Voß, G. Günter; Pongratz,
Hans (1997): Subjekt und Struktur – die Münchener
subjektorientierte Soziologie. In: Voß, G. Günter;
Pongratz, Hans (Hrsg.) (1997): Subjektorientierte
Soziologie. Karl Martin Bolte zum siebzigsten
Geburtstag. Opladen: Leske und Budrich, S. 7-29
- Weihrich, Margit (2001):
Alltägliche Lebensführung und institutionelle Selektion
oder: Welche Vorteile hat es, die Alltägliche
Lebensführung in die Colemansche Badewanne zu stecken?
In: Voß, G. Günter; Weihrich, Margit (Hrsg.): tagaus -
tagein. Neue Beiträge zur Soziologie Alltäglicher
Lebensführung. München und Mering: Rainer Hampp Verlag.
S. 219-236
- http://de.wikipedia.org/wiki/Subjektorientierte_Soziologie
Autoren: Margit Weihrich in Zusammenarbeit mit G. Günter Voß |